„Wo waren Sie bei den Anschlägen vom 11. September“
…. wird heute am 20ten Jahrestag der Anschläge online überall gefragt. Ich war damals in Berlin unterwegs. Kurz nach dem ersten Flugzeugeinschlag, also nachmittags gegen halb fünf, klingelte mein Handy, ich hatte bis dahin noch nichts mitbekommen von den Anschlägen. Ein Freund war dran, der mich fragte ob etwas mitbekommen hätte von den Anschlägen. Seine Freundin hatte ihn angerufen – er war in der fränkischen Schweiz im Cabrio Joyriden – und erzählt, es sein kontrolliert ein Flugzeug in WTC geflogen worden, ob sie da vielleicht nur einen Filmtrailer gesehen haben könnte. Oder waren es doch Palästinenser, die einen Anschalg verübt hatten. Auch über die Größe vom Flugzeug hatten wir keine Ahnung, ich habe die ganze Zeit erst einmal an eine leicht und kleine Sportmaschine gedacht, an die Entführung von einem Flugzeug oder gleich vier: nö, undenkbar. Und bei der Größe müsste der Turm doch umfallen, oder? Daher habe ich mir erst einmal eine kleine Maschine im Turm steckend vorgestellt – Kopfkino für ein Ereignis, das sich so vorher weder Peter Cameron noch sonst wer ausgedacht hatten.
Ich machte mich also auf zurück zur Wohnung meiner Schwester. Wir – meine Schwester, ihr Freund und ich – waren in Berlin, weil meine Schwester ihre Ausbildung wenige Tage später beginnen sollte und wir ihre neue Wohnung renovieren und einrichten mussten. Wir hatten an diesem Tag Streit und ich habe die beiden anderen wütend alleine zurück in der Wohnung gelassen, kein Bock mehr, den beiden zu helfen oder überhaupt jemals wieder mit den beiden was zu tun haben zu wollen.
Auf dem Weg zur Wohnung meiner Schwester habe ich dann auf den Bildschirmen der Berliner S-Bahn (oder U-Bahn) die ersten Fotos von den Anschlägen gesehen. Bei meiner Schwester gab es noch keinen Fernseher, bzw kein Fersehsignal, dass heisst den Rest des tages und der halben Nacht haben wir dann im Radio gehört, was in der Welt gerade passiert ist und was vielleicht noch passieren würde. Ein merkwürdiges Gefühl war das, irgendwie nicht ganz real, nur am Radio, ohne (bewegte) Bilder. Ein bisschen zwischen der Ausstrahlung von Georg Orwells „Krieg der Welten“ und dem Bildern aus dem zweiten Weltkrieg, wo Leute auch vor dem Radio gelauscht hatten.
Gleichzeitig zu diesem surrealen Erleben von Weltgeschichte machte sich bei meiner Schwester und mir die Sorge um eine Freundin breit, die damals in New York gearbeitet und gelebt hat. Genau drei Jahre vor diesem 11. September, also am 11. September 1998, bin ich in New York angekommen und zusammen mit Heino (!) durch den Zoll. Es folgten zehn aussergewöhnliche Tage und wenn ich daran zurück denke, habe ich noch immer Geruch, Geräuschkulisse und das Gefühl von warmen Septembertagen in mir drin. 10 Tage fast unabhängig und trotzdem bei einer guten Freundin auf Besuch, also verankert und nicht verloren. Biertrinken habe ich dort „gelernt“. Ich habe etwas darüber gelernt, wie Dinge mit Abstand verklärt erscheinen (Kartoffelpuffer im Central Park, pfui deivi die Pappendeckel, aber den Deutschen, die ein Jahr und länger in NY waren, hat’s geschmeckt). Die tollsten Laufschuhe, die ich bis heute je hatte, habe ich dort gekauft. Meine Lieblingskaffeetasse habe ich dort gekauft und bis heute in Gebrauch. Deutsche in der U-Bahn erkannt, bevor sie noch ein Wort gesprochen haben. Ein Dutzend Filme verknipst und direkt entwickelen lassen (innerhalb 24 Stunden!) – jaaaa, analog. Und um eben diese Freundin, bei der ich auch dieses Jahr mich wieder eingalden haben wollte, haben wir uns Sorgen gemacht.
Neben den insgesamt vier Flugzeugen, von denen wir mittlerweile aus dem Radio erfahren hatten, machten wir uns auch Sorgen oder zumindest Gedanken, wie die USA jetzt reagieren würden. Der damalige Potus war ja nicht wirklich für seine Klugheit berühmt, von daher, das hier die – vielleicht, vielleicht auch nicht berechtigte – Angst vor Krieg, vielleicht sogar einem Weltkrieg, durchaus wuchs. Das Schicksal der Türme wurde im Laufe des Abends (unsere Ortszeit) lange im radio besprochen. Schmilzt das Metall? Brechen die Türme? Fallen sie um? Dann der Bericht, dass der erste und später der zweite Turm eingstürzt waren.
Die Zeitung am nächsten Tag, die FAZ hatte das erste (oder zweite) Mal in ihrer Geschichte ein Titelbild, war Pflichtkauf (obwohl mein heutiger Schwager mir keine mitgebracht hat) und abends haben wir dann das erste mal wieder bei meinen Eltern zu Hause die Videos von den einstürzenden Türmen gesehen.
Ein paar Tage später erst traute sich meine Schwester bei den Eltern bzw. beim Bruder unserer Freundin anzurufen. Wir wussten ja nicht, ob sie rausgekommen ist, es gab tagelang keine Möglichkeit einzurufen, Facebook und andere Dienste waren noch lange nicht in Sicht, auf denen man sich als „in Sicherheit“ melden konnte. Zum Glück war sie entkommen, sie war tatsächlich bei den Türmen und war beim Einschlag des ersten Flugzeugs im fünften Stock des Deutsche Bank Building, also gegenüber vom WTC 2 und 4. Eine Kollegin ist zusammen mit ihr – entgegen den Ansagen im Gebäude – geflohen. Sie dachten zu dem Zeitpunkt eigentlich noch eher an ein Erdbeben und wollten schnellst möglich weg. Auf dem Weg zum UN Gebäude ist dann das zweite Flugzeug in den anderen Turm geflogen und die beiden haben dann eine andere Fluchtroute wohl eingeschlagen, da ihnen dann aufgegangen oder bewusst geworden ist, dass es sich hier um einen Anschlag und weder um einen Unfall noch eine Naturkatastrophe handelt.
Selten habe ich so eine Erleichterung gefühlt, wie in dem Moment, als wir wussten, dass sie in Sicherheit war. Einige Wochen später habe ich mit ihr dann telefoniert. Eine komplett veränderte Person. Die starke, selbstbewußte, selbständige junge Frau, die ich kannte, tand auch Wochen später noch unter Schock und war am Telefon kaum wieder zu erkennen. „Jeder kannte jemand, der umgekommen ist“, erzählte sie. Eine Vorstellung, die bar aller Vorstellungskraft ist, jeder in einer Millionstadt wie New York, der ein Trauernder war. Eine Stadt im Schock, eigentlich eine Nation und der Rest der Welt in einer hilflosen Solidarität gefangen und auch geschockt, wie so eine konzertierte Aktion stattfinden konnte.
Das Mantra von damals, dass die Medien und Unterhaltungswelt niemals wieder so werden würden wie zuvor: eher nicht wahr geworden. Der Kampf gegen den Terror: noch immer im Gange und bei allen Zäunen und Kontrollen, die heute „normal“ sind, bin ich nicht ganz sicher, wer im Momemt vorne liegt.
Langer Rede, kurzer Sinn: ich war in Berlin als die Türme fielen.
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