Waldorf und Salat,  Weltsicht

Lang ists her

„Lang ists her“ kommmentierte meine Schwester gestern ein Foto, das vor 35 Jahren aufgenommen wurde. Gestern waere mein Opa 104 Jahre alt geworden. Ein paar Jahre lang war das immer der dritte Geburtstag dreier Generationen innerhalb von 5 Tagen: am 13. mein Opa, am 11. mein Bruder und am 9. meine Tante, zweitgeborene Tochter von besagtem Opa.

Frueher war nicht nur mehr Lametta, sondern vor allem auch mehr Bowle. Ich hatte es ja irgendwann schon einmal ueber Eierlikeur und Schnapspralinen, aber Bowle war die Koenigsdisziplin. Bowle war so 80er Jahre, dass man fast vergessen konnte, dass es eigentlich mehr das gefuehlte Festhalten an den 70er Jahren war und irgendwie die Sehnsucht nach der gulten alten Zeit der 60er. Nicht fuer mich als Kind, aber wenn ich heute auf Fotos aus den (zum Teil spaeten) 80er Jahren schaue, dann ist der Muff der 2 Jahrzehnte vorher auf allen Bildern foermlich zu riechen.

In der Rueckschau wirkt Bowle auf mich wie: nehme ein paar gute Zutaten und vermansche sie, damit jeder sehen kann, wie Ueberfluss aussieht.

Vielleicht ist dies aber auch genau die Zeit gewesen: vor 35 Jahren war mein Opa in Rente. Das Haus abbezahlt. Irgendwo noch ein wenig Festgeld. Grosszuegigkeit und Grosskotzigkeit lagen nah beieinander. Ich erinnere mich gerade an einen Kunden, der mich (nachdem er sein NX Konto nicht bezahlt hatte) anpoebelte, ob ich nicht wisse, mit wem ich spreche. Direktor einer Firma war er. Und ich wuerde schon noch… lassen wir das. Same vibes.

Vielleicht ist das aber so: wenn man nach mehr als 40 Jahren Maloche feststellt, dass danach eigentlich nichts mehr davon zaehlt, was man ueber die Jahrzehnte aufgebaut hat. Ausser dem Haus bleibt eigentlich nichts. Das romanstische Bild der Freunde, die gemeinsam in Rente gehen und ihre Bukketliste abarbeiten: meistens nur Film und Rauch.

Lang ists her, aber irgendwie sind einige der Gerueche und Gefuehle von damals noch immer so im Grosshirn verarbeitet, dass sie einem gleich wieder in die Nase oder Kopf kommen. Zugleich merke ich, dass diese Eindruecke schwaecher werden. Ich weiss in etwa noch, wie der Gewuerzschrank meiner Oma roch und manchmal, wenn ich Bohnerwachs (?) rieche, denke ich an das Treppenhaus im Mehrfamilienhaus, in dem meine andere Oma wohnte.

Trotzdem: so nah diese Bilder gestern wirkten, wie ich sie gesehen haben: je mehr ich daruber nachdenke, so weiter weg ist diese Zeit. Und eigentlich ist das auch gut so. Februar 1989 wurde noch der 40te Geburtstag der DDR vorbereitet. Deutschland war nur zweimal Fussballweltmeister. Vergewaltigung in der Ehe war noch nicht, dafuer Homosexualitaet noch immer strafbar. 5 DM fuer den Liter Benzin und Stromabschaltungen per Stromzaehler waren die Schreckgespenster, mit denen gegen die Gruenen gewettert wurde. Dafuer war Nena damals ihrer Zeit voraus (nachdem die USA erst letzte Woche mit dem Abschuss diverser Ballons angefangen haben) und die Kugel Eis kostete…. keine Ahnung, gab keine Eisdiele, wo ich gewohnt habe. Dafuer „Gruni“ und ihre Langnese Eiskiste. Eiskonfekt fuer ’ne Mark.

Gab es Bowle fuer mich als 12jaehrigen? Wahrscheinlich ein paar Stuecke Frucht, schadet ja nicht, so ein bisserl Obst. Nippen durfte ich wahrscheinlich auch mal. Waren halt andere Zeiten. Bis Novmeber war 1989 also ein ganz gewoehnliches Jahr. Mal davon abgesehen, dass wir 1989 aus dem schoenen Freistaat ins benachbarte Hessen umgezogen sind. Neue Schule. Neue Freunde. Neues Zimmer.

Lang ists her. Und fast alles hat sich seit dem veraendert. Und das ist irgendwie auch gut so.

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