Unnoetig noetig
Vor einigen Tagen hat die Eerste Kamer der niederlaendischen Legislative eine Grundgesetzaenderung angenommen, die Tweede Kamer hatte das bereits letztes Jahr. Dieser ist ein weiterer Schritt zur Grundgesetzaenderung, denn beide Kammern muessen nach der naechsten Wahl noch einmal darueber abstimmen. Der erste Artikel wird erweitert, Diskrminierung ist dann explizit auch nicht mehr erlaubt aufgrund einer Behinderung oder der sexuellen Orienterung. Neu lautet der Text:
“Allen die zich in Nederland bevinden, worden in gelijke gevallen gelijk behandeld. Discriminatie wegens godsdienst, levensovertuiging, politieke gezindheid, ras, geslacht, handicap, seksuele gerichtheid of op welke grond dan ook, is niet toegestaan”
https://www.eerstekamer.nl/nieuws/20230117/eerste_kamer_steunt_wijziging
Die Kommentarspalten auf Twitter sind heiss gelaufen: von denen, die gluecklich darueber sind, nun auch endlich explizit genannt zu werden ueber die „allen“-war-doch-schon-eindeutig-genug-Rufer bis hin zu denen, die hierin den Untergang des Abendlandes vermuten und alle moeglichen mehr und zumeist minder relatierte Verschwoerungsmythen dranhaengen.
Ja, ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich der mittleren Gruppe zumindest zugeneigt bin. „Allen“, also jeder, in Verbindung mit „op welke grond dan ook“ sollte doch schon genug sein, um alles und jeden zu umfassen. Vielleicht liegt es daran, dass ich mir einbilde, dass ich mein Urteil ueber Menschen nicht abhaengig von ihrem Lebensmodel, Gewohnheiten oder Uerbzeugungen bilde. Weiter gedacht und hinterfragt steht dann aber direkt die Analogie von black vs. all lives matter im Raum. Und das Wissen, dass die meisten derjenigen, die „all lives“ rufen oder jetzt das „allen“so betonen eigentlich meinen: ja alle, so lange meine Ueberlegenheit und meine Vorteile gewahrt bleiben.
Heute Nacht hat die Neuseelaendische Ministerpraesidentin ihren Rueckzug angekuendigt. Nach sechs Jahren mit etlichem Krisenmanagement fuehlt sie sich nicht mehr aufgeladen genug, um sich im Herbst erneut als Kandidaten aufzustellen. Einem Nachfolger oder Nachfolgerin macht sie jetzt den Weg aus dem Amt heraus damit frei. Die teilweise Haeme im Internet zeigt es aber einmal wieder mehr: neben ihrer politischen Ausrichtung spielt es bei vielen Drukos eine Rolle, dass sie eine Frau ist.
Wenn wir – und damit meine ich die sog. westliche Industriewelt – bereits mit einer Frau als Regierungschefin so ein grosses Problem haben, obwohl manche dieser „entwickelten“ Laender seit mehr als 100 Jahren das Frauenwahlrecht kennen, dann bleibt das Wort „geslacht“ in der Tat weiterhin noetig, um es einzeln aufzuzaehlen. Aehnliches gilt dann eben auch fuer andere Gruppen, die sich einer Ausgrenzung ausgesetzt sehen, nur weil sie so sind, wie sie aben sind.
Auf ein lustige oder traurige Seite bin ich hierbei heute Morgen gestossen. Ich verlinke den Unsinn lieber nicht, aber wer nach gezin in gevaar googelt, wird sie schon finden. In der Grundgesetzaenderung sieht diese Seite eine Gefahr fuer die Kriminalisierung von christlichem Glauben ueber Familie und Seksualitaet. Irgendwie tragisch, wenn eine Gruppe Menschen, die ausdruecklich im Grundgesetz als schuetzenswert genannnt wird, sich gegen eine andere Gruppe richtet, die nicht mehr als genau das auch will. Deutlich, dass hier eben nicht „allen“ der Vater dieses Gedankengutes ist. Da kann man dann auch schon mal mit der PVV einer Meinung sein, so wie die Deutschen Christen im letzten Jahrhundert auch gemeinsame Sache mit der NSDAP gemacht haben. Leider befinden sich immer wieder viel zu viele Glaeubige auf der Seite derjenigen, die sich eben nicht im chrstlichen Sinne verhalten und auessern. Es besteht wenig Unterschied im Weltbild zwischen einem radikalen Muslim und den Anhaengern radikaler christlicher Gruppen – mehr akute Angst habe ich eigentlich vor den letzteren.
Noetig sind diese Aenderungen von Gesetzestexten wohl vor allem deswegen, weil es immer noch zu viele gibt, die genau diese und andere Gesetztestexte fuer sich in Anspruch nehmen, um zu dsikriminieren. Meinungsfreiheit hat eben auch seine Grenzen. Gleichzeitig sollte hier niemand das Toleranzparadox bemuehen, um diese Aenderungen zu wehren. Das funktioniert naemlich eben anders herum und vor allem der Arbeitgeber Kirche in Deutschland ist hier ja ein Beispiel dafuer, wie lange eben das Recht der Kirchen die Grundrechte seiner Mitarbeiter oder Bewerber ausgehebelt und fuer Diskriminierung gesorgt hat.
Also: eine gute Sache, das mit der Texthinzufuegung. Und sicher fehlen wieder Gruppen. Aber Demokratie arbeitet manchmal eben langsam. Aber sie arbeitet.
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