Seid barmherzig!
4. So. n. Trinitatis – Urlaubs-GD 10/07/2022 in Julianadorp
1. Samuel 24, 1-20 und 1. Mose 50, 15-21
[ES GILT DAS GESPROCHENE WORT]
Gnade sei mit Euch und Friede, von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen.
Kennen Sie den Film Rosenkrieg, im Englischen Origonal: War of Roses? Der Film, in dem Danny de Vito als Anwalt einem neuen Mandanten die Geschichte der Scheidung von Barbara und Oliver Rose (war of roses) erzählt? Die Handlung zieht sich über etliche Jahre, von den Anfängen in Liebe bis hin zum tragischen Ende der beiden. Eine Geschichte, in der aus Liebe unversöhnlicher Hass, bis in den Tod hinein, wird.
Der Film ist ein Highlight des Kinojahres 1989, von den beiden Hauptdarstellern Michael Douglas und Kathleen Turner, über de Vito bis hin zu Marianne Sägebrecht, die in dem Film die Haushälterin spielt.
Das Lexikon des Internationalen Films schreibt:
„Diese Geschichte, als abschreckendes Beispiel vom Freund und Anwalt des Paares erzählt, steigert sich fast unmerklich zu einem Crescendo immer greller werdender Effekte und endet konsequent in den satten Farben des Horrorfilms. Dabei besitzt die schwarze Komödie durchaus einen altmodisch moralischen Hintergrund, wobei die perfekte Inszenierung die Stationen des ehelichen Zerwürfnisses zwischen boshafter Ironie und Anteilnahme geschickt in der Waage hält. Eine erstaunliche Regieleistung des Komödien-Stars Danny DeVito.“
Der Film ist eine Geschichte, die am Ende keinerlei Barmherzigkeit mehr erkennen lässt und auch gerade darum so tragisch ist.
Die Bibel kennt etliche Beziehungen, die ähnlich kompliziert verlaufen, wie die Beziehung der Roses und ein paar werden ähnlich ausführlich erzählt, alle auch mit einem „altmodisch moralischem Hintergrund“, wenn man so will.
Zwei Texte, die zum Erzählkomplex jeweils einer solchen Beziehungen gehören, sind für den heutigen Sonntag in der Perikopen Ordnung vorgesehen.
Da ist zum einen die Beziehung von Saul und David.
Eine Geschichte, in der es um eine, eigentlich mehrere Beziehungen geht und in der Zuneigung zu Eifersucht und Hass wird. Das Geflecht aus Beziehungen könnte Georg Lukas inspiriert haben bei seiner Familiengeschichte der Skywalkers. Sohn und Vater, Meister und Lehrling, Familiengeschichte durchwoben mit einer „auserwählten“ bzw. „gesalbten“ Person und dessen Nachfolger. So wie weder Luke seinen Vater noch Obi Wan seinen alten Padawan töten konnten, so wenig konnte David Hand an Saul legen, obwohl er mehrfach die Chance hatte.
Saul und David, David und Saul. Zwei Auserwählte. Zwei Gesalbte. Zwei Hoffnungsträger. Schwiegervater und Schwiegersohn, Mentor und Zögling. Diese Familienbande mögen bei Davids Entscheidung Saul, der ja unversöhnlich Jagd auf David machte, mitgespielt haben. Die biblische Geschichte schiebt es alles auf den Umstand, dass ja auch Saul ein Gesalbter Gottes war, also wie David auch ein Auserwählter.
Gleichzeitig werden beide Personen neben den Sonnenseiten die menschlichen Schattenseiten so deutlich dargestellt, wie bei nur wenigen anderen Gestalten der Bibel.
Nicht ganz so deutlich, wenn überhaupt, werden die Schattenseiten bei einer anderen Person dargestellt: Joseph.
Joseph, der Lieblingssohn von Jakob und seine Brüder. Auch sie haben eine komplizierte Beziehung, auch voller Eifersucht auf der einen Seite aber auch Arroganz und Hochmut auf der anderen. Gleichzeitig eine Geschichte von Reue, mindestens einem Lernprozess und einer Versöhnung mit Happy End.
Als Kind habe ich immer mit dem armen Joseph mitgefiebert, der von seinen bösen Brüdern in eine Grube gestoßen und dann als Sklave verkauft wurde. Ich habe ihn bewundert, wie er aus Sklaverei, aus Intrigen und aus dem Gefängnis heraus zum wichtigsten Berater von Pharao geworden ist. Und natürlich sein Edelmut, am Ende seinen Brüdern zu vergeben. Eine märchenhafte Erzählung, von einem, der immer tiefer und tiefer gefallen ist und wie Phoenix aus der Asche erstanden und erstrahlt ist. Joseph war mit kindlichem Gemüt betrachtet – und, das darf man nicht vergessen, dank der Ikonografie von landeskirchlichen 80erJahre Bilderbüchern – eine Art Held. Die Brüder auf der anderen Seite, sie mussten Buse tun, Reue zeigen und einsehen, dass sie schlechte Brüder waren. Bruderzwist ist in der Bibel ja eines der ersten Themen überhaupt, das erste Brüderpaar, Kain und Abel, endete ja bereits tragisch. Und wie bei einem Ehestreit ergreifen wir – bewusst oder unbewusst – Partei. Auch die Bibel tut dies in ihrer Darstellung der handelnden Personen. Kain = böse, Abel = gut. OK, hier ist diese Zuordnung unbestritten.
Leicht anders bereits bei: Jakob und Esau. Ein etwas fragwürdiges Geschäft, mit dem Jakob das Recht des Erstgeborenen erwirbt.
Oder auch Jesus und seine Geschwister. Es ist vor ein paar Jahren just zu diesem Thema ein Buch von Margot Käßmann erschienen: Geschwister in der Bibel.
Aber bleiben wir bei Joseph und seinen Brüdern. Es hat lange Zeit gedauert, bis ich die Geschichte von Joseph ein wenig anders gesehen habe. Lange Zeit auch, weil ich nicht mehr an sie gedacht habe. Aber in der ersten Predigt, die ich im Rahmen meines Studiums schreiben und halten durfte, war nun ausgerechnet eine Geschichte von Joseph, dem späten Joseph, dem Berater am Hofe Pharaos, das vorgegebene Thema und so durfte ich mich mit Joseph beschäftigen. Irgendwie lässt er mich auch nicht mehr los.
Da ist auf der einen Seite die Komponente, dass hier eine klassische Familienfede mit etlichen Randepisoden abgebildet wird, so wie Robert Geissendoerfer sie auch problemlos in seiner Lindenstrasse hätte verarbeiten können.
Sagen wir es einmal ganz deutlich: Joseph war nicht nur der Lieblingssohn seines Vaters (fragwürdig an sich, wie Jakob selbst hier Unfrieden stiftet), sondern auch jemand, der seine Brüder genau hat dies zu spüren gegeben hat. Ein arroganter Pfau, faul im Vergleich zu den Brüdern, wahrscheinlich rechthaberisch und allein schon deswegen ein Störfaktor im Familienfrieden. In Filmen, die ueber Joseph gehen, sollte man immer eine gewisse Distanz gegen Joseph empfinden. In einem Horrorfilm wäre Joseph die Person, von der man hofft, dass er als erstes, naja…..
Die Reue und das Gefühl etwas falsch gemacht zu haben, sind also nicht nur eine Sache, die man von den Brüdern erwarten muss, sondern vielleicht in einem gewissen Maß auch von Joseph. Hat er wohl in den schlechten Jahren der Sklaverei gedacht: hätte ich mich doch anders benommen.
Noch öfter hat er vielleicht auch an Rache gedacht und diese ja dann mit seinem Verhalten, als die Brüder während der Hungersnot zu ihm kamen, auch zumindest ein wenig genommen. Angst um Benjamin, den jüngsten Sohn Jakobs, sollten seine älteren Brüder haben. Angst, wie der Vater den möglichen Verlust eines weiteren Sohnes aufnehmen wurde. Angst auch, dass sie vielleicht leer ausgehen. Sie wussten da noch nicht, in wessen Hände sie sich begeben mussten auf der Suche und dem Bittgang nach Nahrung.
Als gerechte Strafe, vielleicht sogar einen brüderlichen Trick oder eine Scharade wie bei König Drosselbart, so wird es das Verhalten von Joseph, dem beinah allmächtigen Berater Pharaos, dargestellt. Für mich zeigt es erneut seine Arroganz und das gespaltene Verhältnis, dass er nicht erst seit seiner Versklavung mit seinen älteren Brüdern hat.
Auch die 10 Brüder haben genau dies gespürt, denn als Jakob gestorben war, da haben sie es mit der Angst zu tun bekommen, schließlich war der Vater der Buffer, der zwischen ihnen uns Joseph stand. Und von genau diesem Moment erzählt der Text, der im Zentrum der heutigen Predigt stehen sollte:
15. Die Brüder Josefs aber fürchteten sich, als ihr Vater gestorben war, und sprachen: Josef könnte uns gram sein und uns alle Bosheit vergelten, die wir an ihm getan haben. 16Darum ließen sie ihm sagen: Dein Vater befahl vor seinem Tode und sprach: 17So sollt ihr zu Josef sagen: Vergib doch deinen Brüdern die Missetat und ihre Sünde, dass sie so übel an dir getan haben. Nun vergib doch diese Missetat uns, den Dienern des Gottes deines Vaters! Aber Josef weinte, als man ihm solches sagte.
18Und seine Brüder gingen selbst hin und fielen vor ihm nieder und sprachen: Siehe, wir sind deine Knechte. 19Josef aber sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Stehe ich denn an Gottes statt? 20Ihr gedachtet es böse mit mir zu machen, aber Gott gedachte es gut zu machen, um zu tun, was jetzt am Tage ist, nämlich am Leben zu erhalten ein großes Volk. 21So fürchtet euch nun nicht; ich will euch und eure Kinder versorgen. Und er tröstete sie und redete freundlich mit ihnen.
Wieder wählt das Alte Testament die Seite von Joseph. Scheinbar zumindest, ganz sicher, wenn man die Überschrift des Abschnitts (Josephs Edelmut) berücksichtigt. Wenn Joseph weint, dann kann man das Gefühl bekommen, er weint, weil er sich zu Unrecht missverstanden fühlt. Die Angst der Brüder wird begründet mit ihren Verfehlungen an Joseph.
17 Jahre lang wohnte Jakob in Ägypten, bevor er starb, also seine Söhne auch. Jahrelang wohnte Joseph mit seinen Brüdern in Ägypten, er als hoher Staatsbeamter, seine Brüder wieder in ihren angestammten Berufen als Viehzüchter. Die Bibel erzählt wenig über diese Jahre, es ist nichts geschehen, dass als erzählenswert gesehen wurde.
Diese Lücken, die ab und zu in der Bibel zu finden sind, sind nicht nur Leerstellen, die nichts bedeuten. Der Rabbiner Jonathan Magonet erklärt in seinem Buch „Wie ein Rabbiner seine Bibel liest“, dass manche dieser Stellen gerade in ihren Auslassungen eine eigene Erzählform sind, in die wir uns überlegen sollten, wie die Lücken aussehen.
Trotzdem – oder gerade – diese 17 Jahre Lücke erzählt auch eine Geschichte: was nämlich nicht passiert ist.
Eine kleine Nebenbemerkung: bei der Vorbereitung auf diese Predigt habe ich fünf verschiedene Kinderbibeln und zwei Erzählbücher zur Bibel angeschaut und keines dieser Bücher erwähnt die 17 Jahre, die Versöhnung findet – bis auf eine Ausnahme – hier schon viel früher statt, noch zu Lebzeiten Jakobs.
Dabei ist bereits die Anzahl Jahre an sich kein Zufall: es ist die gleich Anzahl Jahre, nämlich 17, die die Brüder vorher schon einmal zusammengelebt haben, denn Joseph wurde als 17-Jaehriger als Sklave verkauft. Wobei zusammengelebt? Das ist noch die Frage, sowohl das erste Mal als Joseph als der Lieblingssohn eben nicht mit seinen Brüdern auf den Feldern Viecher hüten musste und auch jetzt wieder: Joseph der Beamte und seine Brüder die Viehhirten.
Es scheint jedenfalls keine oder zumindest keine ehrliche und ausführliche Aussöhnung zwischen den Brüdern gegeben zu haben. Hätte Joseph mit seinen Brüdern vor dem Tode Jakobs schon einmal gesprochen, dann wäre uns das doch wahrscheinlich erhalten geblieben. Dann hätten die Brüder nicht solche Angst vor Joseph gehabt. Ob ihnen dabei in Erinnerung geblieben ist, dass es Pharao war, der ihnen ihr neues Land in Ägypten zugewiesen hat und eben nicht Joseph, der nicht einmal darum gebeten hat für seine Geschwister? Oder ist es doch ihr schlechtes Gewissen gewesen. Ein schlechtes Gewissen, wegen dem was sie vor mehr als einem Vierteljahrhundert getan haben oder weil sie selbst sich nie bei ihm entschuldigt haben? Wir wissen auch nicht, wie streng Joseph in den Jahren seiner Ministerzeit sein Amt ausgeführt hat. Was, wenn Jakob beim ersten Besuch der Brüder eben nicht mehr gelebt hätte, wie wäre die Geschichte dann verlaufen? Hätte sich Joseph dann erst richtig gerächt? Die Angst sitzt so tief in den Brüdern, dass sie zuerst nicht einmal selbst zu Joseph gehen, sondern einen Boten vorschicken.
Schlussendlich bekommt die Geschichte ja ein Happy End, nicht nur vor, sondern auch über den Tod Jakobs hinaus. Aber beim Weg dahin lohnt es sich einmal den Blickwinkel zu ändern und die Geschichte nicht nur aus der Warte Josephs zu sehen.
Wer von Euch ohne Schuld ist, der werfe den ersten Stein. Das haben wir vorhin im Evangelium gehört. Niemand hat geworfen. Auch Joseph hätte nicht werfen dürfen. Das sollten wir nicht vergessen, wenn wir über Joseph, aber auch ueber alle anderen Berufenen der Bibel sprechen. Das macht einen Teil von Gottes Barmherzigkeit aus, eben nicht perfekte Menschen zu berufen. Gott beruft nicht die Befähigten, er befähigt die Berufenen, lautet ein bekannter Satz hierzu. Auch das ist Teil von Gottes Barmherzigkeit und es ist diese Barmherzigkeit, die es denen, die sie erfahren ermöglicht, selbst barmherzig zu sein.
Bringt mich auf ein zweites, kleines Detail, das bei der Geschichte der Ehebrecherin oft unter geht: Jesus vergibt der Sünderin nicht nur. Seine letzten Worte an sie sind: sündige nicht mehr!
Jesus zeigt sich barmherzig, Jesus vergibt. Diese Barmherzigkeit Jeus hat aber auch einen Auftrag: selbst barmherzig zu sein. Nicht mehr zu sündigen, dann das ist das Gegenteil von Barmherzigkeit.
Barmherzigkeit erfahren und zeigen – zwei Seiten einer Medaille.
Und so schließe ich meine Predigt, wie ich vorhin den Gottesdienst begonnen habe: Seid barmherzig.
Amen.
Und der Friede Gottes, der größer ist als alle Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.
Amen.
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