Homo Religiosus,  Predigten

Predigt am 4. Agust 2024 in Julianadorp, Israelsonntag

Predigt 10. Sonntag nach Trinitatis- Israelsonntag 04-08-2024 

Gnade sei mit Euch und Friede, von Gott unserem Vater und unserem Herrn Jesus Christus. Amen. 

 

„Ich wollte etwas studieren, was mir erlauben würde, nur das zu sagen, was sich anhand von Dokumenten belegen ließ, um es von dem zu unterscheiden, was Sache des Glaubens blieb.“ 

 

Dieses Zitat stammt aus Umberto Ecos Buch das Foucaultsche Pendel und in meinem zweiten Studiensemester war dieser Satz quasi das Leitmotiv meines ersten Proseminars in Alttestamentlicher Theologie.  

 

Seit dem begleitet mich dieser Satz sowohl wenn es um den Bereich Kirche, Glaube und Religion geht als auch nach Möglichkeit außerhalb dieser Mauern. 

Ich möchte nach Möglichkeit Zahlen, Fakten, Daten, Fotos oder zumindest eine vertrauenswürdige Quelle haben, bevor ich etwas von mir gebe. Oder ich versuche es als meine Meinung zu kennzeichnen. Vielleicht hat neben diesem Proseminar auch mein Nebenstudiengang Journalistik hier seine Spuren hinterlassen – Kommentar und Glosse sind etwas anderes als Reportage und Bericht.  

Um so erfreuter war ich bei der Vorbereitung auf diese Predigt, als ich dieses Buch nach Jahren mal wieder in die Hand genommen habe: Jonathan Magonet, Wie ein Rabbiner seine Bibel liest. 

 

Vielleicht ist es mir beim lesen vor 15 oder 20 Jahren nicht so aufgefallen, oder war mir nicht so wichtig, oder ich habe es schlicht vergessen, aber im biografischen Teil seines Buches  beschreibt Magonet eben genau diesen Unterschied, den man gemeinhin als Glauben vs. Wissen umschreibt.  

 

Jonathan Magonet is Rabbiner und Schriftsteller. Er war Leiter des Leo Baeck College in London, hat in Heidelberg über das Buch Jona promoviert und war auf etlichen Kirchentagen Referent. Dort habe ich ihn auch zum ersten mal gesehen, seine Bücher gekauft und ich hatte das Glück an einem Wochenendseminar in Nürnberg mit ihm teilnehmen zu können, das vom BJC in Bayern veranstaltet wurde. BJC steht für Begegnung von Juden und Christen.  

 

Der Name hatte es Magonet angetan, um sich ausgerechnet bei diesem Verein bereit zu erklären an mehreren Veranstaltungen über die Jahre hin teil zu nehmen. Die richtige Reihenfolge war es: Begegnung von Juden und Christen und nicht wie es bei uns Christen meistens heißt: von Christen und Juden. „Wir waren zu erst da“, sagte Magonet damals in einer der Pausen vom Seminar.  

Eine andere interessante Bemerkung – von vielen an diesem Wochenende -machte er über die Frage, was denn – von der Deutung Jesu einmal abgesehen – der Unterschied zwischen Judentum und Christentum sei. Seine Antwort war, dass im Judentum alles zerdiskutiert wird, 5 Rabbiner, 6 Meinungen. Aber am Ende machen alles es doch auf die gleich Weise. Im Christentum hingegen werden Kriegen geführt und sind Konfessionen völlig zerstritten, um die eine gültige Antwort zu haben, um am Ende doch jeder das zu tun, wozu er Lust hat. “70 Gesichter hat die Torah“, so lautet ein altes Sprichwort der Rabbinen und im jüdischen Talmud heisst es einmal in Anlehnung an Jeremia 23, wo steht : «Ist nicht mein Wort wie ein Hammer, der Felsen zerschlägt (Jeremia 23,29)? So wie der Felsen in viele Teile zersplittert, so kann ein Bibelvers viele verschiedene Aussagen enthalten.» (Talmud Sanhedrin 34a).  

 

Die Juden waren zuerst da und sind es noch heute. Das ist irgendwie ja auch etwas, an das wir heute am Israelsonntag erinnern, aber irgendwie auch feiern.  

 

Der heutige Predigttext, der Evangelien Text, den wir vorhin vorgelesen bekommen habe, enthält dann auch erwartungsgemäß manchen Hinweis auf das Verhältnis von Christen und Juden, von Kirche und Israel. 

 

„Und niemand wagte mehr, ihn zu fragen.“, endet der Text.  Diese Schlussbemerkung ist bemerkenswert, weil vorher noch sich Jesus und seine jüdischen Zeitgenossen die Köpfe heiß geredet haben. Und war dann halt schon damals eben diese gute Debattenkultur, über die Magonet auch gesprochen hat. 

  

Bei Jesus im Umfeld des Predigttextes ging es zunächst um das Verhältnis von Kirche und Staat, Glauben und Politik. „Ist’s recht, dass man dem Kaiser Steuern zahlt oder nicht?“ Ausdrücklich heißt es, dass die Fragesteller Jesus damit auf’s Glatteis führen wollen. Jesus merkt das, lässt sich eine Münze bringen, fragt, wessen Bild und Aufschrift darauf zu sehen ist. Aha, des Kaisers. „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist und Gott, was Gottes ist.“  

Diskurskultur vom Feinsten. Nicht Belehrung von oben herab, sondern ein Impuls zum Weiterdenken und Weiterdiskutieren. Denn jetzt geht es ja erst richtig los: Jetzt muss überlegt und diskutiert werden, was denn des Kaisers und was Gottes ist… 

Danach stellen sie Jesus eine geistliche Frage, allerdings wieder eine Fangfrage: Sadduzäer, die nicht an die Auferstehung der Toten glauben, tragen Jesus einen konstruierten Fall vor: Sieben Brüder heiraten nacheinander dieselbe Frau. Jedes Mal stirbt der Ehemann nach nur kurzer Ehe. Schließlich stirbt auch die Frau. Und listig fragen sie Jesus: „Nun in der Auferstehung, wenn sie auferstehen: Wessen Frau wird sie sein?“ Wieder ist Jesus nicht um eine Antwort verlegen, und wieder ist es keine einfache Antwort, aber eine, die zum Weiterdenken anregt: „Gott ist nicht ein Gott der Toten, sondern der Lebenden.“ 

„Und es trat zu ihm einer der Schriftgelehrten, der ihnen zugehört hatte, wie sie miteinander stritten. Als er sah, dass er ihnen gut geantwortet hatte, fragte er ihn: Welches ist das höchste Gebot von allen?“  

Das ist beinahe die Frage zur Antwort auf die Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest, wie Douglas Adams es in seiner Science Fiction Reihe beschreibt.  

 

Man kann hier nun wieder eine Fangfrage vermuten, denn etliche der mehr als 600 Gebote der Torah können in bestimmten Situationen durchaus im Widerspruch stehen. Oder ist es gerade darum keine Fangfrage mehr, sondern ein tiefes existentielles Bedürfnis? 

 

Im Rückblick auf diese Geschichte – und das ist ja immer der Blick, den wir auf biblische Geschichten haben – erscheint uns die Antwort mit dem Doppelgebot der Liebe, als völlig vertraut und logisch. Das ist ein so will man sagen, eines der wichtigsten Originalzitate Jesu.  

Das Besondere: hier stellt sich der Jude Jesus, der Lehrer, Rabbi, völlig in die Tradition seines Volkes. 

 

Das „Doppelgebot der Liebe“ ist keine christliche Erfindung! Jesus hat viele originelle Predigten gehalten und überraschende Gleichnisse ersonnen. 

Die Frage der Fragen aber, beantwortet er allein mit Worten aus der Heiligen Schrift der Juden, aus dem ersten Testament unserer Schrift.  

Jesus hat also die Liebe nicht erfunden. So viel ist sicher. Und gleichzeitig setzt er eben doch – in guter rabbinischer Tradition könnte man sagen – eigene Akzente.  

Das ist dann wieder das systemerweiternde – oft sind seine Predigten ja systemsprengend, richtiggehend subversiv – wie er die Thora liest und interpretiert.  

 

Auch das ist völlig im Rahmen und gleichzeitig Bild dessen, was die Bibel Jesu, also unser erstes Testament ist: ein Buch mit subversiver Kraft. An dieser Stelle lege ich Ihnen ein weiteres Buch von Jonathan Magonet ans Herz: Die subversive Kraft der Bibel, aus dem Jahre 1998. 

Von der Schöpfungsgeschichte an, bis hin zum babylonischen  Exil sind Inhalt und überhaupt das Fortbestehen unter diesen Umständen von diesen Geschichten, dieser Schriften und des jüdischen Glaubens an sich,             höchst unwahrscheinlich.  

Subversiv in der Schöpfungsgeschichte, die Sterne zu Schöpfungswerken eines einzigen Gottes macht, während im Umfeld Sterne selber als Götter verehrt werden. Subversiv, dass der monotheistische Gott der Gefangenen, als der eigentlich starke Gott angesehen wird. Subversiv auch bis ins Neue Testament – Geheimnis des Glaubens, im Tod ist das Leben. 

Subversiv auch die Personen, über die in der Bibel erzählt. Alles eben keine makellosen Helden. 

 

Zurück zu Jesus. 

Den ersten Akzent setzt er, indem er die beiden biblischen Gebote, die sich in der Heiligen Schrift in unterschiedlichen Kontexten finden, zusammenfasst. Genau genommen macht er aus zwei Geboten eines: „Es ist kein anderes Gebot größer als diese.“ Damit ist klar: Gottesliebe und Nächstenliebe sind zwei Seiten einer Medaille. Konsequent gedacht heißt das, wer fordert, die Kirche solle ihre Gottesdienste feiern und gefälligst die Finger von der Politik lassen, kann sich nicht auf Jesus berufen. Nächstenliebe hat nämlich immer auch mit den Lebensverhältnissen des Nächsten zu tun. Da ist es dann nicht immer und nur getan durch Hilfe an den oder für die Tafeln und dem Ertragen des Status Quo. Nächstenliebe ist auch Gegenstand von Politik, die verändern, die verbessern will.  

Auch etwas, das fest im Judentum verankert ist: Tikkun Olam – die Lebensregel zur Weltverbesserung.  

Sie spiegelt das jüdische Engagement für soziale Gerechtigkeit, Mitgefühl und Verantwortung für das Wohlergehen anderer und der Welt im Allgemeinen wider. Es verkörpert die Überzeugung, dass der Einzelne die moralische Verpflichtung hat, sich für die Verbesserung und Heilung der Gesellschaft einzusetzen und sich mit Themen wie Armut, Ungleichheit, Unterdrückung und Umweltzerstörung auseinanderzusetzen.  

 

Jesus knüpft die Nächstenliebe an die Liebe zu Gott und irgendwie wurzelt dann alle Nächstenliebe dort und findet dort seine Kraftquelle.  

 

Das Gebot der Gottesliebe steht im fünften, das Gebot der Nächstenliebe im dritten Buch Mose. Wie konnten Christen nur auf den Gedanken kommen, erst das Christentum predige die Liebe, während Jüdinnen und Juden in der Furcht vor einem rachsüchtigen und grausamen Gott ängstlich und peinlich genau dessen Gesetze befolgten? Was für ein Irrtum, dem sich andere Irrtümer zugesellten, zum Beispiel der, dass der Bund Gottes mit Israel hinfällig geworden und die Kirche an die Stelle Israels getreten sei. Wie viele Tränen und wie viel Blut sind geflossen, bis wir Christen unsere Irrtümer als solche erkannten und schließlich auch die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland 2016 offiziell jeglicher Judenmission eine Absage erteilte.  

“Christen sind nicht berufen, Israel den Weg zu Gott zu weisen.” So steht es unmissverständlich in der Kundgebung, die die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland damals auf ihrer Tagung in Magdeburg verabschiedet hat unter dem Titel „… der Treue hält ewiglich“, PS 146,6. 

 

Dahinter gibt es kein Zurück!  

 

Übrigens erklärte bereits die Synode der EKD in Berlin-Weißensee 1950, “daß Gottes Verheißung über dem von ihm erwählten Volk Israel auch nach der Kreuzigung Jesu Christi in Kraft geblieben ist.” 

 

Weiter steht in dem Papier von 2016: Christen sind durch den Juden Jesus von Nazareth mit dem Volk Israel bleibend verbunden. 

 

Nehmen wir das ernst und schauen uns auch die Antwort Jesu auf die Frage des Schriftgelehrten an, dann zeigt das: Wer Jüdinnen und Juden angreift, der zieht auch der Kirche den Boden unter den Füßen weg.  

Auch aus diesem Grunde können und werden wir Christen den wieder erstarkenden Antisemitismus nicht hinnehmen. 

Nicht außerhalb dieser Mauern, aber auch nicht innerhalb der Kirche.  

 

Der zweite Akzent in Sachen Liebe ist für uns Christen mehr als nur ein Akzent. Er besteht darin, dass Jesus beides, Gottes- und Nächstenliebe, nicht nur gepredigt, sondern konsequent gelebt hat – so konsequent, dass wir Christen in ihm Gott selbst erkennen, von dessen Liebe uns nichts trennen kann. Der Apostel Paulus bringt es in seinem Brief an die Römer auf den Punkt: „Ich bin gewiss, dass weder Tod noch Leben, weder Engel noch Mächte noch Gewalten, weder Gegenwärtiges noch Zukünftiges, weder Hohes noch Tiefes noch irgendeine andere Kreatur uns scheiden kann von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserm Herrn.“  

Dieser Glaube unterscheidet uns von dem unserer jüdischen Geschwister. Er erhebt uns Christen aber nicht über die Juden. Und wenn wir ihn im christlich-jüdischen Gespräch thematisieren, dann nicht, um Jüdinnen und Juden auf unsere Seite zu ziehen, sondern um das Verständnis füreinander zu vertiefen. 

Und auch zu diesem Thema ist Magonet sehr aktiv unterwegs. Neben zahlreichen Begegnungen zwischen den drei Buchreligionen hat er in seinem Buch „Abraham – Jesus – Mohammed“  aus dem Jahr 2000 seine konstruktive Sicht auf die Möglichkeiten und Zukunft des interreligiösen Dialogs in einer multikulturellen und multireligiösen Gesellschaft dargelegt. [Ja, das ist der Klappentext vom Buch] 

 

Ein Kapitel seines Buches heißt: Jesus eint – Jesus scheidet. 

Und vieles, von dem, was ich hier gerade erzählt habe, könnte man nun noch aus der jüdischen Sichtweise aus diesem Kapitel erzählen. Aber das wird dann doch etwas zu lang. 

 

Eine letzte von Magonet angestoßene Anekdote möchte ich doch noch erzählen. Zu Beginn seiner Vorträge hat ein Rabbiner immer die Frage gestellt, wenn ein Esel die Bibel liest, nach was wird er dann Ausschau halten?  Genau, nach Eseln. Und da gibt es einige in der Bibel. 

 

Heute Morgen war ich der Esel und ich habe dabei – hoffentlich – meinen Leitsatz befolgt und nur Dinge erzählt, die ich entweder belegen kann oder klar als meine Interpretation dieser Dokumente identifiziert habe. Unsere Bibel, mit erstem und neuen Testament ist ein viel zu kostbares und spannenden Buch, als dass wir sie schon ausdiskutiert haben könnten. 

 

Und vielleicht kommen wir im Laufe dieser Diskussionen und Interpretationen ja mal ein einen ähnlichen Punkt, wie der Schriftgelehrte damals bei Jesu – oder bleiben gerade durch die Diskussionen fern weg davon.  

 

Der Schriftgelehrte war nämlich beeindruckt: „Ja, Meister, du hast recht geredet!“  Und wiederholt sogar die Antwort, die Jesus ihm auf seine Lebensfrage gegeben hat. Auch Jesus ist offenbar sehr angetan von seinem Gesprächspartner: „Du bist nicht fern vom Reich Gottes.“ 

 

 

AMEN 

Und der Friede Gottes, der höher ist, als alle Vernunft, er bewahre unsere Herzen und Sinne in Jesus Christus.  

Amen 

 

 


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