Krieg in der Ukraine
Was ich bisher nur in Geschichtsbüchern gesehen habe ist seit mehreren Tagen Alltag in der Berichterstattung geworden: Russland greift in einer Zangenbewegung die Ukraine an. Lange hatr es sich angedeutet, dass Russland irgendwas machen wird, aber die Gewalt, mit der Putin jetzt tatsächlich einfällt und das ganze Land erobern will – ich fürchte das hat so (leider) niemand für möglich gehalten.
Dieser Krieg ist das beherrschende Thema in den Medien – natürlich. Schliesslich ist es das erste Mal seit Ende des zweiten Weltkriegs, dass auf europäischem Boden ein Land ein anderes angreift – wenn man mal von der Annexion der Krim 2014 absieht.
Viele Menschen, die normalerweise Bundestrainer sind und in den letzten beiden Jahren Coronaexperten waren, mutieren gerade zu Außenpolitikexperten, Kriegsfeldherren oder Geschichtsprofessoren. Auch ich habe natürlich zu vielen dieser Themen eine Meinung, die ich mir mit meinem Halbwissen, gespeist aus TV, Sozialen Netzwerken, Geschichtswissen und Bauchgefühl, gebildet habe.
Neben einer „Meinung“, also dem was ich denke und verbalisieren kann, habe ich dabei auch ein Bauchgefühl und zwar ein ziemlich mieses. Krieg in einem Land, das gerade einmal so weit enfernt ist, wie die längste Autoreise, die ich bisher gemacht habe. Krieg nur zwei Flugstunden entfernt. Krieg in einem Land, in dem meine Frau gerade zwei Ihrer Kolleginnen weiß, eine auf der Flucht, die andere so weit im Osten, dass nicht einmal Flucht eine Option ist.
Ich bin aufgewachsen und sozialisiert in der Hoffnung, aber auch dem Glauben und der – hinterher betrachtet vielleicht – trügerischen Sicherheit, dass keine Großmacht dumm und unverfroren genug sein würde, um die Welt wieder an den Rand eines großen Krieges, vielleicht eines Weltkriges und nun beinahe sicher eines Kalten Krieges zu stürzen. Meine Einstellung zu Krieg und Militär ist stark geprägt durch einen Satz meines Opas, der als einer der wenigen deutschen Soldaten vom Russlandfeldzug zurück gekommen ist: „Ich habe so viel Krieg gesehen, dass reicht auch noch für meine Enkel.“ Ich denke mir dabei immer, dass das auch seine Urenkel, also meine Kinder und Neffen und Nichten, einschließt. Bei Diskussionen rund um Verteidigungshaushalte schwanke ich normalerweise zwischen meinem alten Sozialkundelehrer, der meinte, dass jeder Pfennig investiert in Militär genauso gut ins Meer geworden werde könnte (witschaftlich gesehen) auf der einen Seite und einer rationalen Idee davon, dass ein gewisses Maß an Verteidigung eben doch nötig ist. Wehrdienst habe ich nicht gemacht und habe gehofft, dass meine Kinder diesen auch nie machen müssen, weder in Deutschaland noch in den Niederlanden.
Diese Gewissheiten werden im Moment erschüttert.
Ich weiß nicht, was auf uns zukommt. Krieg hier ist vielleicht nicht so wahrscheinlich, aber kann ich sicher sein? Den Helder ist als Marinestadt natürlich ein Ziel, falls es zu einem Krieg zwischen NATO und Russland kommen sollte. Selbst wenn aber nichts hier passiert: viele Menschen in Den Helder, auch Menschen, die wir kennen, sind Militärangehörige oder haben Familie und Freunde beim Militär. Auch diese Menschen könnten in Krisen- oder Kriegsgebiete abkommandiert werden.
Benzin ist direkt teurer geworden (eine Tankstelle hatte vorgestern bereits kein Benzin mehr, ob das mit dem Krieg zusammenhängt sei mal dahin gestellt) und der Preis steigt, Kornlieferungen aus der Ukraine, einem wichtigen Getreidelieferanten, sind in Gefahr. Unterbrochene Geldströme können weitreichende wirtschaftliche Folgen haben, die auch direkt bei uns ankommen. Wie lange wird das Ganze dauern? Wieviele Menschenleben wird es kosten, welche Gräben zwischen Menschen werden hier ausgehoben und vielleicht auf lange zementiert? Es ist die Unsicherheit, die Ohnmacht, die so ein unglaubliches Bauchgefühl verursacht.
Daneben ist es ein Gefühl von Mitleid und Entsetzen. Bilder von Kindern, die sich mit Ihren Eltern (oder meistens nur noch Müttern) in U-Bahnschächhten vor Raketenangriffen verstecken. Ein Neugeborenes, das in einem dieser U-Bahnhöfe zur Welt gekommen ist. Eine Kinderintensivstation, die in einen Keller umziehen musste. Menschen auf der Flucht. Menschen, die Abschied von einander nehmen ohne zu wissen und ob sie sich je wieder sehen werden. Bilder, die dank moderner Technik so lebendig wie nie zuvor in unsere Wohnzimmer gesendet werden, ganztägig abrufbar sind und den Eindruck verstärken, wie sehr dieser Krieg auch uns direkt betrifft und nahe geht. Wo es vor 15 Jahren noch embedded journalists waren, die direkt von der Front berichet haben, so sind es heute Mütter, Kinder und Väter, also Zivilisten, die mit ihrem Smartphone dokumentieren, was nie hätte passieren dürfen.
Neben all dieser Gedanken zum Thema Ukraine kann ich auch nicht umhin an andere Konflikte zu denken. Ist dies ein Krieg quasi in Reichte, dann sind die Opfer von anderen Kriegen, die es ja immer schon gab, nicht weniger arm dran. Auch Kinder in Syrien oder Afganistan haben nicht darum gebeten, dass Menschen mit Panzerfäusten, Gewehren und Panzern kommen. Flüchtende, die nach Pushbacks ums Leben kommen, auch diese Menschen sollten wir nicht vergessen, bei aller notwendigen Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und denen, die die Ukraine jetzt verlassen.
Unsere Welt ist ein ganzes Stück unsicherer geworden oder zumindest ist uns diese Unsicherheit vielleicht jetzt einfach nur vor Augen geführt worden. Hoffen wir, dass dieser Wahnsinn schnellstmöglich ein Ende hat und nicht schlimmere Dinge als eine höhere Inflation uns direkt erreichen.
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